Falschparker

Ich meine, ich sei flexibel, spontan und locker.
Nein, das Gegenteil ist der Fall. Ich halte mich penibel an Absprachen, bin überpünktlich und reagiere genervt, wenn andere unpünktlich sind. Brav stelle ich mich in Warteschlangen und harre in Diskretionszonen aus, bedacht, dass die Wartenden die Reihenfolge einhalten. Wo kämen wir hin, wenn es keine Ordnung beim Anstellen gebe?
Schilder, Linien und Markierungen rücken uns im Miteinander auf Position, das gilt auch für unsere Autos. Es fällt mir schwer, Parkvergehen zu ignorieren: Der SUV steht auf zwei Plätzen, die Seniorin versperrt mit ihrem VW-Golf den Rettungsweg, ein junger Mann parkt auf dem Mutter-Kind-Platz (ohne Kinder). Es könnte mir egal sein, denn häufig fahre ich mit dem Fahrrad zum Einkauf. Bin ich kleinkariert und verklemmt, wenn mich die Gedankenlosigkeit der anderen stört?

Letztens war ich mit dem Auto in München unterwegs und wollte nur schnell im Supermarkt Eier, Saft, Toast kaufen. Ich fuhr in die Tiefgarage und musste nach einem freien Platz suchen. Es war viel los. Ich hastete durch den Markt, suchte Eier, Saft, Toast und stellte mich an die Schnellkasse für maximal 15 Artikel. Ich war berechtigt, denn ich hatte ja nur Eier, Saft, Toast. Andere nicht, aber ich wollte mich nicht aufregen über Kunden mit mehr als 15 Produkten.
Mit meinen drei Dingen huschte ich in die Tiefgarage, ein Porsche bremste vor mir ab und rangierte in den Behindertenparkplatz.
Nicht aufregen, ermahnte ich mich. Vielleicht ist das ein behindertengerechter Porsche und der Fahrer ist ein Porscheliebhaber mit Handicap. Nein! Ein muskelbepackter junger Mann hüpfte aus dem Auto.
„Entschuldigen sie, sie parken auf dem Behindertenparkplatz“, rief ich ihm zu.
„Nur kurz … hole was.“
„Sie dürfen hier nicht stehen bleiben“, ergänzte ich und rückte mir Eier, Saft, Toast auf meinem Arm zurecht.
Der junge Mann kam auf mich zu. Er war so groß wie ich (also eher klein), durchtrainiert, trug Designerkleidung, hob seinen Brustkorb und argumentierte: „Den Parkplatz braucht keiner. Spastis fahren eh nicht Auto.“
Nicht aufregen, ermahnte ich mich erneut.
„Behinderte Menschen fahren sehr wohl Auto und brauchen die extra breiten Parklücken. Sie sind doch sportlich und können ein paar Meter laufen.“
Dann stellte er sich nah vor mich und ich sah seine exakt gezupften Augenbrauen, leicht rissige Lippen und ein Loch im Ohrläppchen. Er sagte Dinge, wie Schlampe, Fot*, verf* und ich solle mich um meinen Sch* kümmern. Ich roch seinen Atem und das Deo. Ich überlegte, ob ich vorsorglich meine drei Artikel ablegen sollte, falls er mir eine herunterhauen würde.
„So eskalieren Situationen“, flüsterte ich.
Ich blieb aufrecht stehen und spürte den Herzschlag bis in meinem Kopf pulsieren. Dann schwieg er, offenbar war sein Schimpfwörterrepertoire erschöpft und die Spannung ließ nach.
„Sie stehen auf einem Behindertenparkplatz“, sagte ich leise, hielt trotzig Eier, Saft, Toast vor meiner Brust und stapfte zu meinem Auto.

Mir wurden Wörter entgegengeschleudert, die im Fernsehen weggepiepst werden und alles nur wegen eines porschefahrenden Kraftsportlers, der zu bequem ist, ein paar Schritte auf seinen durchtrainierten Beinen zu laufen.
Ich hoffe, dass solche Rücksichtslosigkeiten eine Ausnahme sind und ich hoffe, dass meine Gedankenlosigkeit keinem anderen Kummer bereitet.
Verständnis lässt sich trainieren, am besten in Warteschlangen und Diskretionsbereichen. Lasst doch mal den gehetzten Bauarbeiter mit seinem Fleischsalat vor oder bietet der Mutter mit dem quengligen Kind eure Hilfe an oder überlasst euren guten Parkplatz einer Seniorin.
Und was macht man mit bequemen, porschefahrenden Muskelprotzen? Nicht einschüchtern lassen, selbst wenn Eier, Saft, Toast vor Aufregung im Arm zittern.