in der Warteschlange

Im letzten Beitrag schrieb ich, wie uns Warteschlangen und Diskretionszonen lehren, geduldiger und achtsamer zu werden.
In der Post und auf der Bank gibt es ausgedehhhhnte und laaaaangsame Warteschlangen. Viele Filialen schließen, und plötzlich übernehmen Floristen und Änderungsschneider die Arbeit von Postangestellten. Statt Sträuße zu binden, stempeln sie Briefe ab. Statt Säume zu kürzen, füllen sie Suchanträge für verschwundene Pakete aus. Das benötigt Zeit, viiiiiel Zeit.
An dem einen Schalter der Bankfiliale gehe ich selten und dann nur, weil ich Probleme mit dem Online-Banking habe oder Wechselgeld brauche.
So stand ich gestern zwischen Wartenschlangisten und Warteschlangistinnen, zumeist Senioren, die Schwierigkeiten mit einem Überweisungsträger hatten. Vor mir schwankte eine ältere Dame, zittrig pendelte sie von rechts nach links.
Ich stellte mich an ihre Seite: „Geht es ihnen nicht gut?“
„Na, na, des geht scho. Es ist das spinnerte Wetter. I bin ganz tappig.“
„Dann setzen sie sich doch in den Beraterbereich. Ich rufe sie, wenn sie an die Reihe kommen.“
„Ah Schmarrn, des muss sonst auch gehen.“
Es war Föhn, die Sonne blendete und der Wind heulte. Die alte Dame sprach weiter, als wäre ein kleiner Motor durch meine Aufmerksamkeit gestartet.
„I lass es mir nicht schlecht gehn auf meine alten Tage.“
Ich nickte.
„Jeden Tag gönn ich mir ne Kleinigkeit, was i eigentlich net brauch.“
Ich fragte nach: „Was gönnen sie sich denn?“
Sie streckte sich zu mir (denn sie war klein) und flüsterte: „A Kaba.“
Ich wiederholte: „Milchschokolade?“
„Freilich und i nehm immer a Löffel mehr, als sich gehört. Wissen sie, i brauch kein Kaba mehr in meinem Alter, aber i trink ihn trotzdem gern. Glauben sie mir, des gefällt ihnen auch.“
Sie tippelte zum Schalter, rief der Mitarbeiterin ihr Anliegen entgegen und ich plante viiiiel Wartezeit ein. Meine Gedanken tippelten durch das Leben dieser Dame. Ich stellte mir vor, wie sie als Kind selten Kaba getrunken hatte und wenn doch, dann nur ein Schlückchen, weil sie mit ihren Geschwistern teilen musste. Vielleicht bekam sie als Jugendliche ein Schoki von den amerikanischen Soldaten geschenkt. Vielleicht kochte sie bitteren Kakao und schüttete viel Zucker hinein, in der Hoffnung, es würde wie Schokolade schmecken. Aber das tat es nie. Ob sie einen Verehrer hatte, der sie mit dem süßen Getränk überraschte und verführte? Vielleicht verwöhnte sie ihre Enkel mit Kaba und deren Mutter schimpfte, weil das nicht gut für die Zähne sei. Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht. Aber höchstwahrscheinlich sind es immer schöne Erinnerungen, die sie mit Kaba verbindet.

Ja, man sollte sich das gönnen, was die Seele wärmt: Honigmilch oder Schokotrunk, Cappuccino oder Tee, Keks oder Schoki, Umarmung oder Kuss, Schaumbad oder Kuschelzeit.

Warteschlangen sind inspirierend.

Susanne Ospelkaus