Als ob

Wir wohnen an einer Urlaubsroute. Immer wieder besuchen uns Freunde, die nach Österreich oder Italien fahren und bei uns einen Zwischenstopp einlegen. Ich freue mich auf unsere Sommergäste, denn sie bringen diese Entspanntheit mit, die Urlauber haben. Wir bummeln durch München, baden in der Isar und sehen der Abendsonne zu, wie sie hinter der Dorfkirche verschwindet. Dann wünsche ich mir, dass sich die Entspanntheit meiner Gäste auf mich überträgt. Ich will nicht gehetzt zu einem Termin fahren. Ich will nicht genervt vom Berufsverkehr in München sein. Ich will meinen Arbeitstag nicht nur hinter mich bringen. Ich könnte so tun, als ob ich Urlaub mache, Gast in meinem eigenen Heim wäre und alles mit einem neugierigen Blick betrachten.

Mein Arbeitstag in München verläuft in der Urlaubsedition so ab:
Ich habe die Morgentau-Tour gebucht. Um 6 Uhr starte ich zu einer 90-minütigen Radtour durch den Ebersberger Forst, auf Feldwegen bis zum Münchner Stadtrand. Über Nebenstraßen erreiche ich den Englischen Garten. Yogaschüler verbiegen sich im Gras. Jogger keuchen durch die Anlage. Vögel zwitschern in den Zweigen.

Um 8 Uhr darf ich in einer Einrichtung einen Workshop mit jungen Menschen machen. Sie rufen: „Guuuuuten Mooooorgen Frau Susaaaaanne!“ Die Zeit ist anstrengend, äh, anregend und der Vormittag ist rasch vorbei.

Meine Mittagspause verbringe ich am Schwabinger Bach – reinhüpfen, treiben lassen, die Kälte spüren, bis die Zehen kribbeln.

Weiter geht es zu meinem Sommer-Sonnen-Büro im Biergarten des Hofbräukellers. Ich sortiere und beantworte E-Mail und gebe mir dann eine Stunde Zeit, um einen Artikel zu schreiben. Ab und zu schweifen meine Blicke über das Gewusel im Biergarten.

Für den Heimweg wähle ich die Strecke durch das Buga-Gelände des ehemaligen Flughafens. Alleen und Grünstreifen ziehen sich kilometerlang. Es ist mehr interessant als schön. Inzwischen bin ich 60 Kilometer geradelt und freue mich aufs Nichtstun. Diese wohlige Faulheit, wenn man etwas geschafft hat. Die Abendstunden verbringe ich auf der Terrasse am Feldrand und zähle die Schläge der Kirchturmuhr.

Manchmal tue ich so, als ob ich mein eigener Sommergast wäre, und manchmal gelingt es mir, mich wie einer zu fühlen. Es wäre doch zu schade, wenn die schönste Zeit des Jahres nur die Urlaubszeit wäre.