Unterwegs

Zwei Jahre hatte es gedauert, bis meine Romanfiguren lebendig wurden und ihre Bestimmung fanden. Asmarom und die Superhelden: Das sind der Flüchtlingsjunge  Asmarom und seine Schwester Noemi, der schrecklich schlaue Ben, Technikfan Tobias und die risikofreudige Elena. Nun konnte jeder das Jugendbuch über Freundschaft, Grenzerfahrungen und Lebensmut lesen. Mit der Veröffentlichung endet die Arbeit der Autorin, oder eben nicht, wenn man sich auf Lesereise begibt.

Mich beschäftigte die Kritik, die Experten gaben, wie Blogger, Bibliothekare oder Lehrer, aber wie wichtig ist die Rezension eines Erwachsenen, wenn man ein Jugendbuch schreibt? Wenn ich wissen will, ob mein Buch die Zielgruppe erreicht, muss ich zur Zielgruppe gehen. Nachdem sich Jugendliche selten freiwillig in eine Lesung setzen, musste ich zu ihnen, und zwar dorthin, wo sie nicht wegkönnen — in die Schule.

Allerdings habe ich auch ihr Wohlwollen, denn alles ist besser als Unterricht, selbst eine Lesung. Wobei sich hinter dem steifen Wort „Lesung“ ein abwechslungsreiches Programm verbirgt aus Musik und Sound, Sketchnotes und Illustrationen, Online-Spieleplattform und Podcast.

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Mit einer Kiste voller Technik und Requisiten reiste ich zu Realschulen und Gymnasien, Förderschulen und Jugendgruppen, Kirchen und Vereine, mal auf das Land, mal in die Stadt, mal in wohlhabende Gegenden und mal in sozialschwache. Manche saßen aufrecht, andere lümmelten, manche zogen ihr Kapuzenshirt ins Gesicht, andere zwirbelten Haarsträhnen, manche lächelten mich an, andere starrten aus dem Fenster. Doch ich darf nie von einer Äußerlichkeit auf die innere Beteiligung schließen. Denn es kann ordentlich in den Schädeln und Herzen rattern, auch wenn man es den Jugendlichen nicht ansieht.

Ihre Wortmeldungen und Zeichnungen zeigten mir, dass das Thema sie berührte. Sie stellten Fragen und diskutieren. Es gab auch immer einen Schüler, der Not erlebt hatte, und ich staunte über den Mut, es in einer Gruppe zu äußern.
„Ich bin chronisch krank und muss regelmäßig ins Krankenhaus.“
„Meine Schwester ist verstorben.“
„Es kotzt mich an, dass ich Allergien habe und nie normal essen kann.“
„Wir waren noch nie im Urlaub.“
Ehrlichkeit berührt. Es entstehen kostbare Momente, in denen sie einander wahrnehmen, sich aufmunternd auf die Schulter klopfen oder nur zunicken und manchmal höre ich einen Schüler flüstern: „Echt? Das wusste ich nicht.“

Es gab lustige, leichte und schräge Momente, wenn man mich testete und provozierte. Keine Panik! Auch das dürfen Jugendliche tun. Ich fordere sie ebenfalls heraus, dass das Leben aus Gegensätzen besteht, aus Freude und Trauer, Hoffnung und Zweifel, Glück und Enttäuschung. Trotz aller Gegensätze, das Leben ist immer wertvoll! Denn selbst in Krisenzeiten entwickeln sich unsere Persönlichkeit und Fähigkeiten weiter — wie es auch bei Superhelden der Fall ist.

Susanne Ospelkaus